Wertminderung wegen Alters in der Sachwertermittlung – Teil I

Wertminderung wegen Alters kennen Experte und Laie gleichermaßen oder Experte und Laie kennen sich damit gleichermaßen gut aus. Man könnte meinen spätestens mit Inkrafttreten der ImmoWertV zum 01.07.2010 sei alles geregelt.

§23 ImmoWertV – Alterswertminderung lautet:
„Die Alterswertminderung ist unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Restnutzungsdauer (§6 Absatz 6 Satz 1) zur Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlagen zu ermitteln. Dabei ist in der Regel eine gleichmäßige Wertminderung zugrunde zu legen. Gesamtnutzungsdauer ist die bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung übliche wirtschaftliche Nutzungsdauer der baulichen Anlagen.“

 

Wertminderung wegen Alters ist also rechnerisch übliche Gesamtnutzungsdauer abzüglich üblicher Restnutzungsdauer geteilt durch übliche Gesamtnutzungsdauer.

 

Kann es da noch Fragen geben?

 

Um es vorweg zu nehmen, es ist nur unstrittig, dass die Restnutzungsdauer ein Prognosewert ist. Statt Prognosewert kann man auch „Schätzung“ formulieren. Auch die Gesamtnutzungsdauer ist im Übrigen ein Prognosewert. Die Wertminderung wegen Alters ist also der Quotient zweier Prognosewerte. Wenn der Dividend ein Schätzwert ist und der Divisor auch, was ist dann der Quotient? Es ist ein Schätzwert. Ein Schätzwert mit gegenüber dem Dividenden und dem Divisor größeren Unsicherheiten. Der GroKo (Große Koalition) kann man eigentlich nur raten sich von dieser „exakten“ Berechnungsvorschrift inspirieren zu lassen und den Steuersatz künftig in Form übliches Gesamteinkommen abzüglich üblichen verfügbaren Einkommen dividiert durch das übliche Gesamteinkommen zu ermitteln. Man kann so je nach Parteiinteresse jeden Steuersatz exakt beweisen. Aber ich will ernst bleiben.

 

Im Übrigen ist jeder Blick in die Zukunft eine Prognose und somit eine Schätzung. Muss man denn dann überhaupt erwähnen, dass es sich um eine Prognose handelt? Man muss. Man muss nicht nur darauf hinweisen, dass es sich um eine Prognose handelt. Man muss auch den Einfluss der Prognose auf das Untersuchungsergebnis verifizieren. Die Sicherheit oder Unsicherheit der Prognose darf nicht verschwiegen werden und der Einfluss der Unsicherheiten auf das Untersuchungsergebnis muss abgeschätzt werden.

 

Nicht jeder Schätzwert wird ein Problem darstellen. Mir persönlich ist es völlig gleich, ob nun 100 oder 1.000.000 Mikroorganismen einen cm2 meiner Haut besiedeln. Der Experte muss mir weder erklären, von welchen Faktoren die tatsächliche Anzahl der Mikroorganismen abhängt, noch wie genau die Schätzung selbst ist. Aber im Ernst. Man muss zwischen der Sicherheit der Prognose und dem Einfluss der nicht zu vermeidenden Prognoseunsicherheit auf das Untersuchungsergebnis unterscheiden.

 

Im Vorfeld der ImmoWertV fielen Begriffe wie Vereinfachung und Harmonisierung. Harmonisiert werden sollten so auch Ertragswertermittlung und Sachwertermittlung. Bei dem Ertragswertverfahren und dem Sachwertverfahren ist von einer einheitlichen Restnutzungsdauer auszugehen. Gesunder Menschenverstand vorausgesetzt mag dies immer selbstverständlich gewesen sein. Aber ich will nicht zu kritisch sein und das Ziel der Harmonisierung an dieser Stelle bereits als halb erfüllt ansehen.

 

Tatsächlich ist die Restnutzungsdauer sowohl in dem Ertragswertverfahren eine Ausgangsgröße, als auch im Sachwertverfahren. Bei beiden Verfahren handelt es sich also um exakt die gleiche Prognose oder Schätzung und in beiden Verfahren wird man dem Sachverständigen eine gewisse Ungenauigkeit seiner Prognose zugestehen müssen. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass Sachverständige selbst bei sorgfältigster Herangehensweise zunächst überhaupt nicht beweisen können, ob die Prognose Restnutzungsdauer 30 Jahre oder 50 Jahre „richtig“ ist. Der einzelne Sachverständige wird allenfalls hilfsweise mit dem Hinweis auf eine systemkonforme Auswertung der für die Wertermittlung erforderlichen Daten einen Nachweis oder Beweis erbringen können. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Der Einfluss der Prognose kann abgeschätzt werden. Im Rahmen der Ertragswertermittlung ist der folgende Einfluss zu erwarten. Da der Einfluss auch von dem Liegenschaftszinsabhängig ist, sind in dem Diagramm zwei Graphen dargestellt. Mit dieser Darstellung soll an den Einfluss des Liegenschaftszinssatzes erinnert werden. Der Vollständigkeit sei berichtet, dass zwischen Einfluss und Zinssatz eine indirekte Proportionalität besteht. Das heißt je geringer der Zinssatz, desto höher der Einfluss der Prognoseunsicherheiten.

 

Diagramm-Wertminderung-EW

 

In dem Beispiel liegt der Einfluss der Prognoseunsicherheiten 30 Jahre oder 50 Jahre Restnutzungsdauer in jedem Fall unter 20%. Dieser Einfluss ergibt sich rein aus mathematischer Sicht. Bei der Bewertung spielt aber nicht nur Mathematik eine Rolle, sondern auch die Fähigkeit des Sachverständigen eine Rolle. In Verbindung mit den fachlichen Fähigkeiten des Sachverständigen wird der Einfluss der sich aus dem Ansatz der Restnutzungsdauer ergebenden Prognoseunsicherheiten in jedem Fall in einem geeigneten Bereich liegen. Allein im Interesse eines besseren Vergleiches zu der Sachwertermittlung wird hier unterstellt, dass der Mittelwert der „richtige“ Wert sein soll. Die Abweichungen um den Mittelwert liegen in dem Beispiel bei 8,57% (p=5%) sowie 6,76% (p=6%). Der Sachverständige muss hinsichtlich der Prognose der Restnutzungsdauer in aller Regel keine schlaflose Nacht fürchten.

 

Bleibt die Frage nach dem Einfluss der Gesamtnutzungsdauer. Die Gesamtnutzungsdauer ist ohne jede Bedeutung in der Ertragswertermittlung! Warum sollte die Gesamtnutzungsdauer auch eine relevante Rolle spielen? Für Gewesenes gibt es nichts mehr.

 

Harmonisierung ist eine leere Hülle, wollte man im Rahmen der Sachwertermittlung einen anderen Maßstab anlegen, als in der Ertragswertermittlung. Auch in der Sachwertermittlung kann der Sachverständige selbst bei sorgfältigster Herangehensweise zunächst überhaupt nicht beweisen, ob die Prognose Restnutzungsdauer 30 Jahre oder 50 Jahre „richtig“ ist. Der einzelne Sachverständige kann auch hier allenfalls hilfsweise mit dem Hinweis auf eine systemkonforme Auswertung der für die Wertermittlung erforderlichen Daten einen Nachweis oder Beweis erbringen können. Ohne den weiteren Ausführungen vorgreifen zu wollen, steht ein entsprechender Nachweis aber auf mehr als wackeligen Beinen.

 

Sucht man in der Literatur nach Angaben zu der Gesamtnutzungsdauer eines Einfamilienhauses, so wird man 60 Jahre oder auch 100 Jahre mit plausiblen Begründungen finden. Bleiben wir einmal bei einer Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren. Bei einer Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren und einer Prognose der Restnutzungsdauer von 30 Jahre oder 50 Jahre, liegt die Wertminderung zwischen 62,5% und 37,5%. Haben wir bei dem Beispiel der Ertragswertermittlung einen mathematischen Einfluss unter 20% festgestellt, so ist es hier mehr als das 3-fache, nämlich 66,7%. Im Umkehrschluss ist festzustellen, wobei ich einen Beweis hier für entbehrlich halte, dass dann natürlich die für die Wertermittlung erforderlichen Daten überhaupt nicht mit einer hinreichenden Genauigkeit abzuleiten sind.

 

Aber es fehlt noch der zusätzliche Ansatz der Gesamtnutzungsdauer! Wie bereits ausgeführt lassen sich 60 Jahre und auch 100 Jahre mehr oder weniger plausibel begründen. Werden Gesamtnutzungsdauer und Restnutzungsdauer in ein Diagramm eingetragen, dann sieht der Zusammenhang derart aus:

 

Diagramm-Wertminderung-SW

 

 

In dem Beispiel liegt der mathematische Einfluss der Prognoseunsicherheiten 30 Jahre oder 50 Jahre Restnutzungsdauer in Verbindung mit der zusätzlichen Ausgangsgröße der Gesamtnutzungsdauer bei 47,06% um den Mittelwert (gleiche Berechnung der Abweichung wie bei der Ertragswertermittlung). Demgegenüber ergab sich die Abweichung bei dem Ertragswertverfahren in dem Beispiel mit lediglich 8,57% (p=5%) sowie 6,76% (p=6%).

 

In einem Diagramm kann man die Unterschiede vielleicht besser erkennen.

 

Diagramm-Wertminderung-EWundSW

 

 

Bei der Ertragswertermittlung ist der Unterschied im Bereich der Ordinate (vertikale Richtung) überschaubar. Ganz im Gegenteil dazu ist der Unterschied bei der Sachwertermittlung riesengroß. Es ist aber alles noch viel schlimmer. Warum ist es schlimmer? Zunächst ist auf den Umkehrschluss aufmerksam zu machen. Die Qualität der aus dem Markt abzuleitenden Daten ist bei der Ertragswertermittlung viel besser, man kann mit dem Ansatz der Restnutzungsdauer keinen so großen Schaden anrichten. Das System ist einfach besser.

 

Schaut man sich das Diagramm an, so fallen nicht nur die Unterschiede hinsichtlich des Einflusses der Prognoseunsicherheiten auf. Es fällt auch ein gänzlich anderer Verlauf der Wertminderung zwischen Ertragswertverfahren und Sachwertverfahren auf.

 

Einerseits habe ich persönlich keine Zweifel, dass man in wenigen Jahren die Sachwertermittlung nach der ImmoWertV als großen Erfolg werten wird. Es ist ja jetzt schon ein gutes Geschäft für alle Seminarveranstalter und Herausgeber von Fachliteratur gewesen. Andererseits habe ich persönlich noch weniger Zweifel, dass man bei einer wissenschaftlichen Auswertung diesen Erfolg nicht bestätigen kann.

 

So Zeit ist befasse ich mich mit der Frage, ob die Wertminderung nach ImmoWertV tatsächlich linear ist. Oder ob die „gleichmäßige Wertminderung“ nicht etwas von einem Potemkinschen Dorf hat.

 

Calau, den 03.01.2014